Neues Nachweisgesetz – das Ende der Digitalisierung im Arbeitsrecht?


Hintergrund

ǀ Zum 1. August 2022 trat das neue Nachweisgesetz (NachwG-neu) in Kraft. Bisher ein „zahnloser Tiger“, wenn es um die Aushändigung der Arbeitsbedingungen ging, wird es nun zum bußgeldbewährten (scharfen) Schwert. Die Anzahl der Pflichten zur Aufklärung der Arbeitnehmer wurde von zehn auf fünfzehn erweitert. Diese Erweiterungen sind teilweise auch inhaltlich bemerkenswert. Dass ausgerechnet die schriftliche Form der Aushändigung mit eigenhändigen Unterschriften festgeschrieben wurde, obwohl die Umsetzung der europäischen Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen (RL 2019/1152, „Arbeitsbedingungenrichtlinie“) auch Textform erlaubt hätte, sollte in Unternehmen dazu führen, die (digitalen) Personalprozesse zu überdenken. Die Aussicht: Sehr lange Arbeitsverträge, bei denen zweifelhaft ist, ob sie wirklich verständlicher werden.

Aufklärungspflichten


Die Aufklärungspflichten umfassen einerseits viele Anforderungen, die bereits in bisherigen Arbeitsverträgen vorhanden waren, wie z. B. Bezeichnung und Anschrift der Vertragsparteien (Nr. 1-neu), Beginn des Arbeitsverhältnisses (Nr. 2-neu), dessen Befristung (Nr. 3-neu) und Urlaubsanspruch (Nr. 11-neu). Zu den neuen Pflichtangaben gehört die Angabe der Probezeit nach Nr. 6-neu in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG-neu. Auch wenn diese Angabe bisher keine Pflicht war, war sie bereits in den meisten Arbeitsverträgen mit der in § 622 Abs. 3 BGB genannten zweiwöchigen Kündigungsfrist aufgeführt. Auch die Tätigkeit musste bisher schon kurz beschrieben werden, ebenso die Arbeitszeit. Neu ist allerdings, dass auch die Ruhepausen und Ruhezeiten oder ein Schichtsystem künftig beschrieben werden müssen (Nr. 8-neu). Dies wird zu ausgiebigen Angaben hinsichtlich der Arbeitszeiten führen, welche die genaue Lage der Zeiten, der Pausen oder auch der Kernarbeitszeit und der elfstündigen Ruhezeit nach einem Arbeitstag beschreiben – ganz zu schweigen von dem Hinweis, wann der Arbeitgeber berechtigt ist, Kurzarbeit anzuordnen.

Neu hinzugekommen ist bei der Angabe des Arbeitsorts, dass – soweit zutreffend – auch die freie Wählbarkeit des Arbeitsorts angegeben werden sollte, z. B. um Homeoffice zu ermöglichen. Eine Besonderheit gilt bei Auslandstätigkeiten (§ 2 Abs. 2 und 3 NachwG), bei denen ab einer länger als vier aufeinanderfolgende Wochen dauernden Zeit nicht nur das Land / die Länder und die geplante Dauer des Einsatzes aufgeführt werden müssen, vielmehr sind auch Details zur Währung, in der die Vergütung gezahlt wird, erforderlich. Weiterhin sind Zusatzleistungen wie z. B. Verpflegungskosten u. v. m. aufzuführen; auch die Bedingungen einer Rückkehr sind schriftlich festzuhalten.

Ähnlich ausführlich muss nun auch die Arbeit auf Abruf gemäß § 12 TzBfG geregelt werden, inkl. der Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, dem Zeitrahmen und der Frist, in der die Arbeit auf Abruf im Voraus mitgeteilt wird. Auch die Voraussetzungen für Mehrarbeit/Überstunden müssen dargelegt werden (Nr. 10-neu).

Ein besonderes Augenmerk gilt nun dem Arbeitsentgelt (Nr. 7-neu). Diesbezüglich müssen – getrennt voneinander – die Zusammensetzung (Festgehalt, variable Vergütungsteile) und deren jeweilige Höhe inkl. der Überstundenvergütung, Zuschlägen, Zulagen, Prämien, Sonderzahlungen sowie deren Fälligkeit angegeben werden. Dazu gehören auch die Angaben, ob und wann Überstunden ausgezahlt, durch Freizeitausgleich „abgebummelt“ oder auf einem „Lebensarbeitszeitkonto“ angespart werden können.

Die Angabe der Kündigungsfristen bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen (Nr. 14-neu) ist zwar nicht neu, wurde aber um die Angabe des „bei der Kündigung einzuhaltenden Verfahrens“ erweitert. Auch hier wird es zu weitaus längeren Absätzen in den Arbeitsverträgen kommen, die erklären, welche Fristen bei fristgemäßen und fristlosen Kündigungen gelten, welche Kündigungsgründe es gibt und wie eine Kündigungsschutzklage bei einem Arbeitsgericht eingereicht werden kann. Noch streiten die Juristen, ob eine Betriebsratsanhörung ebenfalls Erwähnung finden muss.

Hinweise müssen nun auch gemäß Nr. 13-neu zur betrieblichen Altersversorgung (Versorgungsträger mit Anschrift), zu einem etwaigen Anspruch auf Fortbildung sowie auf anzuwendende Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen (Nr. 15-neu) und zu eventuellen kirchlichen Arbeitsbedingungen erfolgen. Durch Verweise auf diese Vereinbarungen bzw. Tarifverträge können viele der notwendigen Klauseln „abgekürzt“ werden (§ 2 Abs. IV NachwG-neu).

Auswirkungen auf die Digitalisierung


Das Nachweisgesetz schreibt in § 2 Abs. 1 S. 3 vor, dass die o. g. Hinweise schriftlich erfolgen müssen („Der Nachweis (…) in elektronischer Form ist ausgeschlossen.“). Kurioserweise hat der Gesetzgeber in seiner Neufassung verfügt, dass die Hinweise zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen müssen, nämlich am ersten Tag der Arbeitsaufnahme (Nr. 1, 7, 8), andere spätestens am siebenten Kalendertag nach Beginn des Arbeitsverhältnisses und die restlichen Hinweise (Nr. 10–15) spätestens „einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses“. Diese Staffelung sollte voraussichtlich eine Erleichterung für die Arbeitgeber darstellen. Glücklicherweise erlaubt das Nachweisgesetz auch in § 2 Abs. 5 NachwG-neu die Übergabe und den Nachweis aller Bedingungen zum Zeitpunkt der Aushändigung eines Arbeitsvertrags, der alle in den § 2 Abs. 1–4 NachwG-neu genannten Bedingungen enthält.

Die Musterarbeitsverträge sollten folglich einmal komplett überarbeitet und an die neuen Bedingungen des Nachweisgesetzes angepasst werden.

Da das Gesetz die Arbeitgeber zum schriftlichen Nachweis verpflichtet, wird die Digitalisierung im Personalbereich ausgebremst, auch wenn es bereits Verfahren gibt, welche die Authentizität des Ausstellers mittels digitaler Signaturen nachweisen und somit seitens der Arbeitgeber kein Nachweis- oder Beweisproblem bestehen würde. Die Pflicht zur eigenhändigen Unterschrift verlängert in Zeiten von Homeoffice oder Auslandsarbeitsmöglichkeiten die Bearbeitungszeit und es muss überlegt werden, wie auch unter diesen neuen Voraussetzungen eine schnelle Bearbeitung von Arbeitsverträgen bei Neueinstellungen gewährleistet werden kann.

Bußgelder


Die Neuerungen des Nachweisgesetzes sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn erstmals drohen Bußgelder von bis zu 2.000 EUR. Diese werden dann fällig, wenn der Arbeitgeber nicht, nicht richtig, unvollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt bzw. informiert.

Für Altbeschäftigte gilt, dass sie die Hinweise der Nummern 1–10 des § 2 Abs. 1 S. 2 „auf Verlangen“ innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Aufforderung beim Arbeitgeber erhalten müssen; die übrigen Hinweise der Nummern 11–15 können bis zu einen Monat nach der Aufforderung geliefert werden. Im Sinne einer effektiven Prozessgestaltung ist es auch hier sicherlich ratsam, ein Gesamtdokument zu erstellen, das dem Beschäftigten zur Verfügung gestellt wird. Denn wer den Mitarbeiter nicht, nicht richtig, unvollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig informiert, kann ebenfalls mit einem Bußgeld sanktioniert werden.

Handlungsbedarf

  • Anpassung der Musterarbeitsverträge an die neuen Anforderungen des Nachweisgesetzes
  • Überprüfung, ob seit dem 1. August 2022 abgeschlossene Arbeitsverträge dem neuen Nachweisgesetz entsprechen
  • Erstellung von Informationen für bereits vor dem 1. August 2022 bestehende Beschäftigungsverhältnisse, welche die Neuerungen enthalten und auf Anfordern des Arbeitsnehmers mit (beidseitiger) händischer Unterschrift zur Verfügung gestellt werden sollten
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