Neuer Leitfaden zur Risikotragfähigkeit: zwei Perspektiven ohne Fristen

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Hintergrund:

Am 24. Mai 2018 hat die BaFin ihren neuen Leitfaden „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“ veröffentlicht. Er enthält Grundsätze, Prinzipien und Kriterien, die von der nationalen Bankenaufsicht in Deutschland zugrunde gelegt werden, wenn sie bankinterne Verfahren zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (RTF) beurteilt. Demnach sind vor allem die nicht direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) überwachten Institute betroffen. Der Leitfaden, der sich stark am aktuellen Entwurf der EZB für einen ICAAP‐Leitfaden (Internal Capital Adequacy Assessment Process) orientiert, zeigt aber, dass die Erwartungen der EZB und der nationalen Aufsicht in Deutschland grundsätzlich gleichgerichtet sind.


Neu!

Der finalisierte Leitfaden bietet gegenüber dem Diskussionsentwurf vom 20. Dezember 2017 keine wesentlichen Änderungen. Die zentrale Neuheit bleibt die geforderte Einführung zweier unterschiedlicher, sich ergänzender Perspektiven zur Beurteilung der Risikotragfähigkeit: einer (neu eingeführten) normativen und einer (weiterentwickelten) ökonomischen Perspektive. Letztere dient der langfristigen Sicherung der Substanz eines Instituts und damit auch dem Schutz der Gläubiger vor Verlusten aus ökonomischer Sicht. Die normative Perspektive (maßgeblich ist die Going‐Concern‐Annahme) dient der dauerhaften Einhaltung aller relevanten aufsichtlichen Kennziffern, um die Fortführung des Instituts – auch in Stressphasen – sicherzustellen.


Ökonomische Perspektive

Drei mögliche Ansätze zur Ermittlung des Risikodeckungspotenzials (RDP):

  • Barwertige RTF: Barwertiges RDP gegenüber barwertigen Risiken
  • Barwertnahe RTF (Vereinfachung): Bilanzielles Eigenkapital +/− stille Lasten/Reserven gegenüber barwertnahen Risiken
  • „Säule 1 +“ RTF (für kleine, wenig komplexe Institute): RDP analog zu barwertnaher RTF gegenüber Risikowerten aus Säule
    1 und quantifizierten Risikowerten aus Säule 2


Normative Perspektive

  • Steuerungsgrößen: v. a. Kapitalgrößen (Kernkapitalanforderung, SREP‐Gesamtkapitalanforderung, kombinierte Pufferan‐ forderung, Eigenmittelzielkennziffer) und Strukturanforderungen hinsichtlich des Kapitals (Höchstverschuldungsquote, Großkreditgrenzen)
  • Jahresbasis und Kapitalplanung auf (mindestens) Drei‐Jahresbasis
  • Kapitalplanung mit Basis‐ und adversem Szenario


Weitere Anforderungen:

  • Risikodeckungspotenzial: regulatorische Eigenmittel + anerkannte Kapitalbestandteile, Eigenmittelplanung auf Basis entsprechender Positionen der GuV‐Rechnung, Berücksichtigung vorgesehener Umwandlungen von §‐340f‐Reserven in Rücklagen, Vorsichtsprinzip
  • Risikoarten und Risikoquantifizierung gemäß rechtlichen Anforderungen der CRR, Ein‐Jahres‐Horizont für Risikomessung, Risikoinventur sämtlicher wesentlicher Risiken

Gemäß dem Anschreiben der BaFin sind mit dem neuen Leitfaden allerdings keine Umsetzungsfristen verbunden, sodass der bisherige Going‐Concern‐Ansatz vorerst beibehalten werden darf. Da unklar ist, wie lange dies noch möglich sein wird, gilt es, sich schon heute vorzubereiten – erst recht vor dem Hintergrund der in Kürze erwarteten Verabschiedung der ICAAP‐ und ILAAP‐Leitfäden der EZB.


Handlungsbedarf

  • Überprüfung bestehender Risikotragfähigkeitskonzepte im Rahmen des ICAAP
  • Anpassung der Risikotragfähigkeitsrechnung mit mehrperiodischer Kapitalplanung und Stresstests als komplementären Elementen im RTF‐Prozess (vgl. Hinweis im BaFin‐Journal vom Juni 2018)
  • Enge Verzahnung von normativer und ökonomischer Perspektive in der Gesamtbanksteuerung
  • Überprüfung der Steuerungsansätze auf eine prozessuale Verknüpfung mit Strategie sowie Risikosteuerungs‐ und ‐controllingprozessen
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